Die vorliegende Arbeit untersucht die wahrgenommenen Stressbelastungen und die angewandten Bewältigungsstrategien von Physiotherapiestudierenden im Kontext der Akademisierung der Physiotherapie in Deutschland. Seit der Einführung primärqualifizierender und ausbildungsintegrierter Modellstudiengänge im Jahr 2009 hat sich das Ausbildungsprofil dieses Berufsfeldes stark verändert, was neue Anforderungen an die Studierenden stellt. Ziel der Arbeit war es, auf theoretischer Grundlage ein umfassendes Analysemodell zu entwickeln, das sowohl die Entstehung von Stress im Studium als auch den Einsatz individueller Copingstrategien beleuchtet.
Im theoretischen Teil werden zunächst unterschiedliche Perspektiven auf Stress dargestellt. Beginnend mit biologisch-physiologischen Ansätzen nach Selye und Cannon wird der Begriff um soziologische Modelle erweitert, die die Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität betonen, sowie durch ressourcenorientierte Konzepte wie das Salutogenesemodell nach Antonovsky ergänzt. Auf dieser Grundlage wird Stress als Ergebnis eines dynamischen Wechselspiels zwischen Anforderungen und individuellen Bewältigungsressourcen verstanden, wobei das Transaktionale Stressmodell nach Lazarus eine zentrale theoretische Rahmung bietet.
Darauf aufbauend werden die spezifischen Belastungen von Studierenden analysiert. Durch die Einführung des Bologna-Prozesses und das European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS) sind Studienstrukturen zunehmend verdichtet worden, was hohe Anforderungen an Selbstorganisation, Zeitmanagement und Resilienz stellt. Neben objektiven Faktoren wie Prüfungsdichte und Workload spielen individuelle Determinanten wie Motivation, Selbstwirksamkeit, soziale Unterstützung und persönliche Dispositionen eine wesentliche Rolle bei der Wahrnehmung und Verarbeitung von Stress.
Die Arbeit zeigt auf, dass die Auswirkungen von Stress vielfältig sind und sich auf verschiedenen Ebenen manifestieren. Sie reichen von kognitiv-emotionalen Reaktionen wie innerer Unruhe und Ängsten über physiologische Symptome wie Kopfschmerzen und Schlafstörungen bis hin zu langfristigen gesundheitlichen Folgen wie Burnout, Immunschwäche oder Stoffwechselerkrankungen.
Im Hinblick auf die Stressbewältigung wird Coping als multidimensionaler Prozess verstanden. Neben problemorientierten Strategien, die auf die direkte Bearbeitung der Stressoren abzielen, spielen emotionsorientierte Ansätze zur Regulation von Gefühlen sowie bewertungsorientierte Strategien zur kognitiven Neubewertung von Situationen eine zentrale Rolle. Ergänzend werden instrumentelle, mentale und regenerative Techniken vorgestellt, die von struktureller Studienentlastung über Selbstmanagement bis hin zur gezielten Förderung der Resilienz reichen.
Eine Analyse des aktuellen Forschungsstands verdeutlicht, dass die internationale Datenlage zu Stress und Coping bei Physiotherapiestudierenden vergleichsweise gut ist, während der deutschsprachige Raum noch deutliche Forschungslücken aufweist. Insbesondere fehlen systematische Untersuchungen zu individuellen Bewältigungsstrategien, was die Entwicklung gezielter Unterstützungsangebote erschwert.
Die Arbeit kommt zu dem Ergebnis, dass Physiotherapiestudierende ihr Studium häufig als herausfordernd und phasenweise stark belastend erleben. Ob diese Belastungen zu gesundheitlich riskantem Stress führen, hängt entscheidend von der subjektiven Bewertung der Situation und dem Zugang zu Ressourcen ab. Besonders wirksam erscheint eine Kombination aus struktureller Entlastung, gezielter Kompetenzentwicklung und ressourcenorientierter Unterstützung. Abschließend werden Implikationen für die Studiengangsgestaltung abgeleitet, die eine bessere Balance zwischen akademischen Anforderungen und individueller Belastbarkeit ermöglichen sollen.